Der schwere Weg zum Frieden

SÜDWEST PRESSE – Ehinger Tagblatt – Renate Emmenlauer – 2.12.2023

Etwa zwei Dutzend Interessierte kamen zur Ausstellungseröffnung „Ungarische Synagogen und ihre Gemeinden“ ins Franziskanerkloster. Foto: Pressebüro Emmenlauer

Als weiteren Höhepunkt im Semesterthema „Hallo Ungarn“ zum 30-jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft Ehingen-Esztergom hatte die Volkshochschule die Ausstellung „Sie sollen mir ein Heiligtum machen – Ungarische Synagogen und ihre Gemeinden“ nach Ehingen geholt. Zur Eröffnung im Franziskanerkloster waren am Donnerstagabend der Landesrabbiner Joel Berger für Baden-Württemberg und Dezső B. Szabó, der Leiter des Liszt-Instituts aus Stuttgart, angereist.

Szabó ließ bei aller Freude über die engen Verbindungen zwischen den Städten Ehingen und dem ungarischen Esztergom sowie den blühenden jüdischen Gemeinden, ihrer Gleichstellung als Bürger und ihrer mehr als 1000-jährigen Kultur in Ungarn nicht außen vor, welche erschreckenden Ausmaße die Judenfeindlichkeit aus seiner Sicht in Deutschland angenommen hat.

Joel Berger vor einer Beschreibung der Synagoge in Szeged, der zweitgrößten Synagoge Ungarns und der viertgrößten aktiven der Welt. Sie wurde von Lipót Baumhorn konzipiert und ist ein herausragendes Beispiel der Belle Époque. Foto: Pressebüro Emmenlauer

Schlimme Äußerungen gefallen

Der studierte Gemanist berichtete von seinem Aufenthalt in Berlin am 7. Oktober, als der Terrorangriff der Hamas in Israel geschah. An diesem Tag seien Brandanschläge auf Synagogen und jüdische Einrichtungen verübt, 50 Polizisten bei antisemitischen Ausschreitungen teils schwer verletzt worden. Es seien Äußerungen gefallen, dass die Juden vergast werden sollen, schilderte Szabó.

Joel Berger, Landesrabbiner in Baden-Württemberg, nahm bei der Ausstellungseröffnung auch zum aktuellen Krieg zwischen Israel und den Hamas Stellung. Foto: Pressebüro Emmenlauer

„Ich lebe seit 50 Jahren hier“, sagte Landesrabbiner Berger auf eine Frage von Angela Scheffold, es gebe keinen Antisemitismus in Deutschland, „nur irrgeleitete Menschen“. Denn in Deutschland gebe es keine antisemitistischen Gesetze und Regeln. Eine Zuhörerin mutmaßte, die ausufernde Siedlungspolitik der Israelis, immer mehr Land für sich zu beanspruchen, befeuere die Konflikte mit den Palästinensern wohl immer wieder. Zudem nähmen sich Juden das Recht heraus, die einzig wahre Religion zu sein. „Kennen Sie eigentlich die Geschichte Israels ab seiner Staatsgründung 1948?“ entgegnete der Landesrabbiner. Immer wieder habe Israel den Palästinensern die Hände gereicht. Es habe auch Friedensvereinbarungen gegeben, „die aber von den arabischen Staaten nicht eingehalten wurden.“

Erst 2006 habe Israel auf den Gazastreifen verzichtet. Statt Frieden habe es Mord, Terror und Totschlag gegeben. Ziel der Hamas sei die Auflösung und Auslöschung von Israel. Auch fehlende Bildung spiele beim Feindbild eine Rolle. Die Flächen, die Israelis besiedelten, beanspruche keiner der Staaten, sagte Berger.

„Es gehört zu einer Demokratie, dass Menschen mit verschiedenen Glaubensgruppen miteinander und nebeneinander in Frieden leben können“, sagte der 86-jährige Landesrabbiner zu den jahrzehntelangen Konflikten zwischen Israelis und den Palästinensern. Diese seien angefeuert durch Terrorgruppen, die von arabischen Staaten unterstützt werden, die alle Zionisten gerne töten wollen. Er erinnere sich an die nationalsozialistischen Grausamkeiten, die er in Ungarn miterleben musste.

„Bei uns in Deutschland leben so viele Menschen unterschiedlicher Volksstämme, Kulturen und Religionen. Das könnte doch auch im Nahen Osten funktionieren“, äußerte sich Zuhörer Veit Feger. Ihn interessierte auch, warum der Rabbiner nach seinem akademischen Abschluss 1968 aus Ungarn nach Deutschland ausgewandert war. „Wir waren unter der russischen Herrschaft drittrangige Staatsbürger. Wir wurden geknechtet und gedemütigt. Wir konnten dort nicht als freie Bürger leben“, antwortete Berger.

Nur wenige kehren zurück.

In seinem rund einstündigen Vortrag berichtete Joel Berger von der jüdischen Kultur in Ungarn ab dem elften Jahrhundert und von Angriffen, Flucht und Vertreibung durch wechselnde Herrscher. Von einst 600.000 Juden kamen nach dem Holcaust nur wenige Tausend wieder in die Heimat zurück. Aktuell lebten rund 100.000 Juden in Ungarn, die meisten in Budapest. Der Landesrabbiner lobte den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der die jüdischen Bürger voll anerkenne und gleichberechtige.

In der Ehinger Partnerstadt Esztergom habe es vor dem Nationalsozialismus eine große jüdische Gemeinde und eine Synagoge gegeben, sagte Berger. „Heute weisen nur noch Straßennamen und der jüdische Friedhof auf die Juden hin.“


Einst eine kleine jüdische Gemeinde in Ehingen

Vom 13. Jahrhundert an hat es in Ehingen eine kleine jüdische Gemeinde gegeben, so Ehinger Heimatforscher Franz Romer. Sie wurden aber Chroniken zufolge im Jahr 1457 aus Ehingen ausgewiesen. Lediglich der Straßenname „Judengasse“ weise noch auf das einst jüdische Wohngebiet in der Unteren Stadt hin. Wie groß dieses Gebiet war, lasse sich nicht mehr ausmachen. Die mittelalterliche Gemeinde unterhielt eine Synagoge (Standort Ecke Lederbruckgasse/Tuchergasse). Das Gebäude wurde 1967 abgebrochen (in den 1950er-Jahren Wohnung des Totengräbers der Stadt); der Platz ist nicht neu bebaut. Bis heute erhalten sei die mittelalterliche Judenschule am Eingang der Hindenburgstraße in den Viehmarkt (beim Gasthaus „Schwert“).